Kulturnews

Goldene Löwen-Verleihung in Ranjos: Das Ende des Patriotismus

Nicht lange ist es her, da war eine Filmserie namens MMS – in Meadowhouse produziert – der weltweite Showstealer der Filmbranche. Die dort vertretene Ideologie tritt offen zutage und man muss kein Experte sein, um die Botschaften der einzelnen Filme und des Gesamtwerks herauszulesen. Ein zentraler Punkt der Filme: Ein unverbrüchlicher Patriotismus. Vor allem Meadowhouse selbst wurde als Nabel der Lieben Welt portraitiert und als quasi einziges wirkliches Angriffsziel der Bösen Mafiaorganisation MMS. Letzteres wohl sicherlich nicht zu unrecht, auch aus historischen Fakten heraus. Nicht nur kommerziell war die Serie ein Straßenfeger, sondern auch die Kritiker überhäuften die Macher mit Lob, die Ranjoser Akademie mit Preisen. Die diesjährige Verleihung der Goldenen Löwen in der atlantischen Metropole läutet wohl das Ende dieser Denke ein. Waren noch vor einigen Jahren Kriege aus edlen Motiven ein gern gesehenes Filmthema, dominierten dieses Jahr radikale Anti-Kriegsfilme das Geschehen.

Bereits letztes Jahr deutete sich an, worauf die Akademie neuerdings ihren Fokus legt. Es wurde gemahnt, gewarnt und auf schwelende Konflikte aufmerksam gemacht. Unbedingt müsse eine zweite Weltschlacht oder gar ein Weltkrieg verhindert werden. Auch auf interuniverselle Gefahren wies man hin, die Tiergruppe gab ein kurzes aber beeindruckendes Konzert zum Besten, es war beinahe wie ein Plädoyer für eine bessere, friedlichere Welt. Ganz so pathetisch aufgeladen wurde diese Verleihung nicht, die Auszeichnungen sprechen jedoch das gleiche Bild, welches voriges Jahr in seinem Rahmen bereits aufgehangen wurde. Als bester Film wurde „Bin ich also nichts“ von Martin McDonaghue ausgezeichnet. Es ist ein Film, der den Nihilismus predigt, den Kriege mit sich bringen. Der zeigt, wie egal plötzlich alles wirkt, wenn das eigene Leben durch kriegslüsterne Fabrikanten fremdbestimmt und möglicherweise ausgelöscht wird. Der jedoch es gleichzeitig schafft, zu zeigen, wie wichtig das unmittelbare Miteinander wird, wenn alles andere egal geworden ist. Das fiktive Geschehnis, ein Krieg zwischen zwei verfeindeten Städten in einem futuristischen Avasjanrav, mutet an, als würde es direkt aus einem fabelhaften Geschichtsbuch stammen. Die scheinbar deterministische Technologisierung der Alltagswelt durch eine unheimliche Digitalisierung der eigenen Persönlichkeit wird ad absurdum geführt, wenn man einem stählernen Panzer gegenübersteht. Es ist richtig, dass die Akademie diesen Film auszeichnet, unabhängig von der zugrundeliegenden Botschaft. Martin McDonaghue hat ein Meisterwerk geschaffen, das in keiner Filmbibliothek fehlen sollte. Doch nicht nur in der Hauptkategorie konnte der Film „Bin ich also nichts“ triumphieren, auch in anderen Kategorien fuhr er Preise davon. So wurde Hauptdarsteller Gavin Bétnys mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet. Auch diese Wahl ist eine gute. Bétnys spielt den Soldaten Luis mit derart brachialer Wahrhaftigkeit, das es einem als Zuschauer die Magensäure hochtreibt. Wie ein zuvor verspielter Jugendlicher nach seiner Rückkehr als Bestie zurückkehrt und dennoch als Held gefeiert wird, wie ihn das Geräusch eines Kaffeeautomaten an das Laden eines Maschinengewehrs erinnert und ihn in tollwutartige Krämpfe ausbrechen lässt ist schlicht eine Schauspielleistung jenseits von allem, was in 1822 auf den Leinwänden zu sehen war.

Auch andere Filme, die sich mit dem Leben in von menschengemachten Extremsituationen beschäftigen, konnten Preise sammeln. Als bester Regisseur wurde Cristof da Gesus geehrt, er leitete das Setgeschehen von „Lichtermeer“, einem sehr ruhigen Film über die Ausbeutung von Arbeitnehmern in einer zunehmend optimierungssüchtigen und gleichzeitig autoritätshörigen Gesellschaft. Beste Hauptdarstellerin wurde Juliane Bermaker, die in „Der Unterschied zwischen Sechs und Neun“ eine autistische Floristin spielt, die sich in einen imaginären Besatzungsmacht-Soldaten verliebt, auch diese Wahl traf die Akademie vollkommen zurecht. Die wichtigsten Preise gingen also allesamt an Filme, die Kriege, Nationalismus, Patriotismus und Autoritäten negieren. Für die meadowhousische Filmbranche heißt es nun Umdenken, wenn es um die Kompatibilität zu den Goldenen Löwen gehen soll. Interessant und zugleich kontrovers war die Verleihung des Goldenen Löwen für das beste Drehbuch. Diesen erhielt Petra Nielsen für ihr Skript für die Actionkomödie „Drachen machen Sachen“. Kritiker hatten bereits die Nominierung bemängelt, die Auszeichnung glich für Manche blankem Hohn. Der renommierte Filmkritiker Bernhard Feylling bezeichnete das Drehbuch unlängst als „Versatzstück an dümmlichen Witzen aus den 1790er-Jahren, garniert mit einer gehörigen Prise Selbstbeweihräucherung und pseudo-elitärem sogenannten Humor der spießbürgerlichen Mittelschicht“. Der Film behandelt eine gutbürgerliche paradiesische Familie, in deren benachbartem Wald sich neuerdings Drachen niedergelassen haben. Die Drachen kommen als Neuankömmlinge in diesem Werk eher schlecht weg. „Dass Petra Nielsen für diesen Preis nominiert wurde und Frederick Godtstad nicht (Drehbuchautor von „Bin ich also nichts“, Anm. d. Red.) ist ganz offensichtlich ein Versehen“, kritisierte auch Johannes-Karl Lange. Dass Nielsen den Preis am Ende sogar bekam, dürfte für weitere Debatten sorgen. Meadowhouse ging diesmal gänzlich leer aus, es gab nicht einmal eine Nominierung. Das abgelaufene Jahr brachte jedoch auch nur einen großen Kinofilm mit Cronbergs Verfilmung von „Der Kommissar und das Ungeheuer“, der bei Kritikern recht zurückhaltend aufgenommen wurde.

Technisch verändert sich das Kino dagegen immer mehr. Computeranimierte Effekte scheinen mehr und mehr auf dem Rückzug zu sein, die ausgezeichneten Filme arbeiteten nicht nur in den technischen Kategorien rein mit praktischen Effekten. Dieser Trend geht allem Anschein nach auf den Erfolg von „Cremissimo“ zurück. Cronberg verzichtete in seinem Epos 1819 gänzlich auf nachbearbeitete Bilder und ließ mit extrem hohen Aufwand alles praktisch nachbilden. Nicht nur der Erfolg gab ihm recht und so scheint sich dieses durchaus angenehme Verständnis von Film immer mehr zum Usus zu entwickeln. Auch die zunehmende Verbreitung von emissionsfreien Flügen nimmt computergenerierten Bildern den Rechtfertigungsgrund. Das Übrige macht die Rezeption der Zuschauer und Kritiker, die zunehmend negativ auf diese Bilder reagieren, da inzwischen auch andere Regisseure als Cronberg gezeigt haben, was möglich ist. Daher auch nicht verwunderlich, dass der Goldene Löwe für die besten visuellen Effekte an Henry Gary Francis ging, der diese Verantwortung für „Bin ich also nichts“ innehatte. Seine Bildsprache, die von der fabelhaften und leider nicht von der Akademie gewürdigten Kameraarbeit von Marcus Elmqvist untermalt wurde, war unmittelbar an der immensen Wirkung des Werks beteiligt. Damit wurde der beste Film auch zugleich der mit den meisten Preisen an diesem Abend, zudem gewann auch noch Casimir Darsfeld seinen insgesamt dritten Goldenen Löwen für seine Filmmusik. Am Ende standen vier Auszeichnungen bei insgesamt sieben Nominierungen zubuche.

Das Rahmenprogramm mutete wie erwähnt deutlich unspektakulärer und weniger prätentiös an, als noch im vorigen Jahr. Von emotionalen Dankesreden und einem merkwürdig uninspirierten Auftritt des Akademie-Sprechers Gottfried Dolschemann abgesehen, verlief der Abend beinahe träge ab, was jedoch durchaus beabsichtigt schien und seine Wirkung keineswegs verfehlte. Nach brachialen Botschaften inklusive Privatkonzert war man sich offenbar bewusst, dass eine ähnlich gigantomanische Aufführung wohl an der Glaubwürdigkeit der jüngst getätigten Aussagen kratzen könnte. So ließ man die Inhalte sprechen. Das Intermezzo des klondykschen Komikers Ivan Malgorzov war vielleicht etwas zu brav, die Preisverleihungen jedoch symbolisieren die Konsequenz, mit der die Akadamie bei ihren Bemühungen um einen Einfluss auf den Lauf der Dinge voranschreitet. Dazu passten auch die Worte von Cristof da Gesus, der davon sprach, dass Kunst ein Instrument der Mächtigen sei. „Indoktrination ganzer Völker geschah mittels der Kunst und dem was man als Kunst ausgab. Dabei hat die Kunst auch oft ihren eigenen Beitrag dazu geleistet, indem sie zu gefällig, zu bequem, zu banal war. Kunst, die uns in unserem Wesen und Weltverständnis bestätigt, verfehlt ihren Zweck.“ Unbeachtet der Tatsache, dass die Filmemacher diese heeren Ansprüche selbst einhalten sollten, kann man diesen Satz durchaus für sich sprechen lassen.

  • Bester Hauptdarsteller: Gavin Bétnys („Bin ich also nichts“)
  • Beste Hauptdarstellerin: Juliane Bermaker („Der Unterschied zwischen Sechs und Neun“)
  • Bester Nebendarsteller: Victor Ashak („Stich ins Herz“)
  • Beste Nebendarstellerin: Rita Hansen („Die Sprache der Inselmenschen“)
  • Bester Film: Bin ich also nichts (Martin McDonaghue)
  • Beste Regie: Cristof da Gesus („Lichtermeer“)
  • Bestes Drehbuch: Petra Nielsen („Drachen machen Sachen“)
  • Beste Kamera: Carla Gimenez („Lotus“)
  • Bestes Szenenbild: Heinrich Beckmann („Die sieben Tage von Aloval“)
  • Bestes Kostümdesign: Dave Capello („Todeszug nach Emedari“)
  • Bester Ton: Wilhelmina Gunn („Die Korallenriffe der Lieben Welt“)
  • Bester Schnitt: Michael Thun („Lotus“)
  • Bester Tonschnitt: Erhardt Silverberg („Eine paradiesische Horrorgeschichte“)
  • Beste visuelle Effekte: Henry Gary Francis („Bin ich also nichts“)
  • Bestes Make-up und beste Frisuren: Timothea Hainoff („Todeszug nach Emedari“)
  • Beste Filmmusik: Casimir Darsfeld („Bin ich also nichts“)