Magiaros größtes Meisterwerk
Als die ersten Menschen am 2. November vor den Musikgeschäften ihrer Städte und Dörfer in den Schlangen standen, hatten sie sicherlich eine große Vorfreude auf das, was sie erwartete. „Es ist die BEFIM, selbstverständlich wird es gut“, meinte einer in der Schlange vorm WSTS-Shop an jenem kalten Samstagmorgen. Das mag so sein, doch muss man als Kritiker deutlich tiefer in die Analyse gehen. Nur um festzustellen: Dieses BEFIM-Album wird in die Geschichte eingehen.
Für einen sehr erlesenen Kreis gab es schon am Abend zuvor die große Premiere des neuen Albums. In der Höhle in Wiesenhausen – Wiesen-Zentrum versammelten sich im Obergeschoss eine Reihe von BEFIMisten und Freunden, um dort oben die Klänge auf Kassette respektive CD zu hören, die sie vorher selbst eingespielt hatten. Neugierige Nachbarn hätten wohl zu gern ein Richtmikrofon auf die Höhle gerichtet, doch mussten auch diese nicht mehr zu lange warten, bis am nächsten Morgen das Album in den Handel kam. „Natürlich. BEFIM.“ ist der Titel des nun schon siebten regulären Studioalbums. Was auf den ersten Blick anmutet wie ein zynischer Kommentar hat Hand und Fuß, ist das Album doch vor allem Natur und Landschaften gewidmet. Die Optik erinnert überaus stark an „Da simma wieder!“ aus 1819, bei genauem Hingucken fällt allerdings die Sortierung der Bilder nach Jahreszeiten auf, während es bei „Da simma wieder!“ eher zufällige Bilder aus Wiesenhausen waren. Jedoch ist „Natürlich. BEFIM.“ nicht unbedingt ein Konzeptalbum.
Es ist wie angekündigt das letzte Album des Orchesters mit den „Wiesenhausener Folks“. Also legt man gleich mal mit einem besonders schwungvollen los. „Lieder, älter als die Zeit“, läutet das Album ein und macht sofort gute Laune. Und das zweite naht direkt hinterher, „Erinnerungen einer Moorleiche“ ist deutlich langsamer und erzählt die Rolle Carl von der Regièmes bei der Ermordung Enczegovijas. Ohnehin hat sich Komponist Mirco Magiaro enorm ins Zeug gelegt bei den Folks. In den insgesamt 22 Stücken sind 14 Folks in der klassischen oder einer modifizierten Besetzung enthalten. So viele gab es bisher noch auf keinem der vorigen Alben. Selbstverständlich darf auch die Ehrung des aktuellen Königs nicht fehlen, Ezechiel I. dürfte sich besonders geschmeichelt fühlen, denn er bekommt zweifelsohne den besten Marsch der bisherigen Staatsoberhäupter. König Ezechiel ist nicht der Einzige, der eine Widmung auf dem Album bekommt, auch Saxophonist Gilderoy Lockhart mit seinem roten Reisebus bekommt ein eigenes Folk. Anschließend naht das erste Stück der vier Werke, die dieses Album trotz der hohen Anzahl an Folks entscheidend mitprägen. Eine vierteilige Jahreszeitensinfonie erklingt mit dem Frühling als ersten Satz. Die Melodien sind eingängig und doch auf höchstem musikalischen Niveau. Orchestrale Klänge verwandeln „Natürlich.BEFIM.“ in ein Album, was es so noch nicht gab. Der Frühling zeigt sich anfangs verschlafen, schüchtern erwachend und im Laufe der 12 Minuten immer selbstbewusster und eindringlicher. Die BEFIM beschreitet der Pfad der Romantik. Die Noten und Melodien schmiegen sich geradezu aneinander und entführen den Hörer in Fantasiewelten im Glanz der jeweiligen Jahreszeit. Hier im Frühling sieht man einen Waldrand, mit Frostblumen, danach die durchbrechende Sonne, das zaghafte Aufblühen der Pflanzen und das Knacken der Eierschalen durch die schlüpfenden Tierkinder. Der Auftakt in die Jahreszeitensinfonie ist gemacht.
Danach erobern die Folks wieder die Ohren der Hörer, „Wenn die Sonne versinkt im Ysen“ ist melancholisch, der „Whiskey-Wies-Walzer“ haut mit seinem Wechsel aus 4/4- und ¾-Takt jeden Bewegungslegastheniker aus seiner Apathie. Schon naht der Sommer als zweiter Satz der Jahreszeitensinfonie. Mit etwa 5 Minuten Länge ist es ein kurzer Sommer, aber einer, der in Erinnerung bleibt. Ein wundervoll zartes Thema dringt in die Gehörgänge bis in das Fantasiezentrum des Gehirns ein und zeichnet einen Sommer, wie man ihn sich vorstellt. Heiß, geradezu staubig mit eingeschränktem Sichtfeld durch eine tiefstehende Sonne. Eine fast bleierne Schwere, den Geruch von vertrocknetem Gras in der Nase, ein vor Staub gelbgefärbter Himmel, all das hat man beim Hören vor Augen. Bis ein kräftiges Gewitter all die Schwere aus der Luft wäscht und ein kühler Wind die nassen Haare erfrischt. Spätestens jetzt weiß man, dass die BEFIM mit der Jahreszeitensinfonie etwas ganz Großes geschaffen hat. Der nächste Folk naht zugleich, Christoph Botao wird ironisch, aber ehrenvoll gewürdigt, „Botaos Kompanie“ hat das Zeug zum Kultstück. „Der letzte Sommer von St. Opal“ ist wieder trauriger, bevor eine musikalische Interpretation einer Gipfelbesteigung des höchsten Bergs von Meadowhouse, dem St. Johann, die erste CD des Albums beschließt. Schon jetzt weiß man, dass dieses Album an Schönheit, Eleganz und Anmut wohl kaum so schnell überboten werden kann.
Der zweite Teil von „Natürlich.BEFIM.“ beginnt wieder mit einem Folk aus alter Kaiserzeit, schwenkt aber schnell wieder zu Naturbeschreibungen. Der dritte Satz der Jahreszeitensinfonie, der Herbst, steht seinen beiden Vorgängern in nichts nach. Es ist ein wahrhaft gold-grauer Herbst, der musikalisch gezeichnet wird. Nebelschwaden, eine nasstriefende Luft, aber auch Sonnenstrahlen, die sich durch die Äste brechen, herabfallendes Laub und ein Innehalten einer ganzen Stadt werden im Herbst behandelt. Ein Stück, was man sich während dieser Tage dringend vor einem prasselnden Kaminfeuer und einem heißen Tee anhören sollte. Passend dazu ist auch das folgende Folk „Wir ernten Maronen, den Mais und die Bohnen“, über die Ernten der besonders in Wiesenhausen angebauten Naturfrüchte. Naturbeschreibungen abseits der Jahreszeiten findet der geneigte Hörer auch. Die „Rhapsodie des Meeres“ ist ein weiteres Husarenstück von Mirco Magiaro. Wobei man eher von einer Rhapsodie der Küste sprechen sollte, da der Hörer die Perspektive eines Hafenbesuchers einnimmt und von nahenden Schiffen, fröhlichen Hafenkneipen, kreischenden Möwen und rauschender Brandung umspielt wird. „Sieben Fässer Feuerwasser“ dürfte dann wieder den Fans gefallen, die gerne einen feurigen Schluck bei einem fröhlichen Trinklied im „Big Ben um die Ecke“ genießen. „Waldfrieden und Jagdruf“ ist eine kleine Überraschung, eine Naturbeschreibung, die den anderen Stücken dieser Art in nichts nachsteht, aber auch etwas anders ist. Beim Lesen des Booklets gerne übersehen ist dieses Stück eine kleine, unerwartete Perle. Im Anschluss erhält Alastor „Mad-Eye“ Moody eine letzte persönliche Widmung in seiner Rolle als Wiesenhausener Wildhüter. Angekommen ist man dann beim finalen Satz der Jahreszeitensinfonie, dem Winter. Es ist ein mehr als würdiger Abschluss der Sinfonie. Ein tragendes, sanftes, geradezu verträumtes Hauptthema wechselt sich ab mit Interpretationen der klirrenden Kälte, reißender Schlittenfahrten auf gefrorenem Grund und mündet in ein gigantisches Finale voller Epik und Größe. Man darf sich hier schon wohl besonders auf die Live-Aufführung in der Ysengoldhalle freuen. Die letzten drei Stücke sind dann allesamt Folks, die letzten der BEFIM wohl jemals. Nach zwei fröhlichen Stücken über die Wiesenhausener Schlittenfahrt und die 1810 gewonnene Freiheit folgt mit „Alte Stadt am Ysen“ das Finale der Folk-Ära und des neuen Albums. Dieses Folk ist mit eines der besten, die jemals geschrieben wurden. Es ist ein unglaublich schön-trauriger Abschluss einer großen BEFIM-Zeit und dieses überaus gelungenen Gesamtwerks. Ergriffen lauscht man den letzten Klängen und schaltet beim Ausfädeln der letzten Noten wehmütig und bewegt das Gerät ab.
„Natürlich.BEFIM.“. So einfach und doch so treffend. Es ist kein reines Konzeptalbum und doch in sich so stimmig wie wohl noch kein BEFIM-Album zuvor. Dieses Werk ist in einem Gesamtkontext zu sehen. Man kann ohne Umschweife sagen, dass „Eine neue Zeit“ aus 1814 nicht der Beginn einer neuen Ära des Orchesters war, sondern das Ende einer alten. Mit „Da simma wieder“ begann die Neuzeit der BEFIM und seitdem hat Mirco Magiaro den Stil, die Thematiken, die Zusammensetzung und die Botschaften seiner Stücke immer weiter verfeinert. Das renommierte Musikportal Notenschlüssel hatte den letzten beiden Alben fünf bzw. vier von fünf möglichen Sternen gegeben, vor einigen Tagen bewertete es Natürlich.BEFIM mit fünf Sternen mit dem Zusatz „besonders“. Das war zuvor noch keinem BEFIM-Album zuteilgeworden. Und in der Tat muss man diesem Album eine Andersartigkeit im Vergleich zu den vorherigen Sammlungen unterstellen. Mirco Magiaro und das Orchester verschreiben sich mit „Natürlich.BEFIM.“ der Schönheit. Musik ruft im besten Fall Emotionen hervor. Musik, die beim Hören keinerlei emotionale oder sensitive Regung hervorruft, ist schlechte Musik. Auf diesem Album findet sich nicht ein solcher Moment. In jeder Sekunde der insgesamt rund zwei Stunden Lauflänge fühlt man die Noten in den eigenen Körper fließen. Die BEFIM entführt uns in eine Traumwelt, die der Realität doch so nah ist. Die Schönheit liegt überall. Im Wechselspiel der Jahreszeiten, im Aufblühen der Knospen, im erlösenden Hitzegewitter, im Herabfallen des Laubs, im Knacken des Schnees unter den Schuhen. In Bergpanoramen, in der Meeresbrandung oder im Wald. Man könnte „Natürlich.BEFIM.“ auch als Huldigung an die Romantik begreifen.
Hinzu kommt eine so noch nie dagewesene Vollkommenheit. Jedes noch so kleine Detail fügt sich zu einem großen Gesamtkunstwerk zusammen. Der Titel, der passender nicht sein könnte. Die Abwechslung aus Folks und orchestralen Stücken. Die Kombination aus schwungvollen und balladenhaften Werken. Die Platzierung der einzelnen Lieder. Alles passt wie ein warmer Mantel. Es ist zudem eine überaus vernünftige Idee gewesen, die Jahreszeitensinfonie über das ganze Album zu verteilen, anstatt sie in einem Rutsch durchzuspielen. So bleiben die einzelnen Sätze noch länger im Kopf und die Vielseitigkeit der Stile kommt noch besser zur Geltung. Die Entscheidung, „Alte Stadt am Ysen“ als letztes Stück und finales Folk zu spielen ist ein weiterer Glücksgriff. Es rundet die melancholische Schönheit des Albums perfekt ab und sorgt für eine ergreifende Rührung in der plötzlichen Stille nach Ende des letzten Tons. Die Folks noch einmal so stark zu bringen, ist jener Ära absolut würdig und wirkt trotz 14 Folks in 22 Stücken nicht einmal überfrachtend. Dafür drücken andere Werke diesem Album ihren Stempel auf. Nur „Eine neue Zeit“ hatte weniger Stücke als „Natürlich.BEFIM.“, aber selten zuvor war in diesen Stücken so viel enthalten, wie dieses Mal.
Mirco Magiaro ist durchaus eine streitbare Persönlichkeit. Aber er ist unbestritten einer der größten Künstler der Gegenwart. Mit diesem Album hat er sein vorläufiges Meisterstück geschaffen. Ja, man darf es sagen: „Natürlich.BEFIM.“ ist das größte Werk Magiaros und der BEFIM, dieser Superlativ ist ausnahmsweise angebracht und zutreffend. Die 22 neuen Stücke entführen uns in eine ergreifende Welt der Schönheit. Sodass wir nicht nur hören, sondern fühlen.