Weltregierung erreicht grundsätzliche Überprüfung der Todesstrafe
Schon lange war es eine Herzensangelegenheit von Weltkaiser Apfulkrax. Die weltweite Abschaffung der Todesstrafe hatte er bereits in seiner ersten Amtszeit ab 1815 in Angriff genommen, ein vollständiges Verschwinden von der Weltkarte schien damals jedoch wegen des enormen Widerstandes einiger Staaten unrealistisch zu sein. Nun ist der Weltkaiser seinem Ziel ein ganzes Stück nähergekommen. Die 18 Staaten der Lieben Welt, die de jure und de facto noch die Todesstrafe ausführen, unterzeichneten am Mittwoch ein Moratorium, vorerst bis zum 31.12.1826.
„Den Wert einer Gesellschaft erkennt man daran, wie sie mit ihren Straftätern umgeht“, erklärte Apfulkrax auf einer seiner ersten Reden vor dem Weltbund im Dezember 1815. Als ehemaliger Militär ist er ein erbitterter Verfechter des Rechtsstaats, auch im Kriegsrecht positionierte er sich stets gegen Exekutionen. Wiederholt stellte er seine Abneigung gegen juristisch verübte Morde zur Schau, ächtete Exekutionen und deren Befürworter öffentlich. Seinem Anspruch, die Liebe Welt zu einer „Welt des Rechts und der Menschenwürde“ zu machen, konnte er in diesem Punkt jedoch lange nicht gerecht werden. Zu groß schien der Gegenwind aus Ländern, die diese Form der Strafe teilweise schon seit Jahrhunderten in ihren Gesetzbüchern niedergeschrieben haben, insbesondere Molquarze, Klondyk und Blumenparadies stellten sich quer. In Blumenparadies etwa warten noch rund 60 Beteiligte am Kilis-Putsch auf ihre Hinrichtung. Für diese und andere zum Tode verurteilte Straftäter besteht nun Hoffnung auf eine Umwandlung ihres Urteils. Die 18 betreffenden Staaten einigten sich mit Palaces Monda und Weltbund auf ein Moratorium und damit einer vorübergehenden Aussetzung der Todesstrafe bis Ende 1826. In dieser Zeit soll eine grundlegende Überprüfung dieser Bestrafungsform erfolgen, mit offenem Ende.
Von den 18 Staaten haben 12 in den vergangenen fünf Jahren die Todesstrafe mindestens einmal angewandt. Sie gilt in allen Ländern nur für besonders schwere Straftaten wie Mord, in Blumenparadies und Klondyk kann sie allerdings auch wegen Landesverrats ausgesprochen werden. Die häufigste Hinrichtungsmethode ist derweil das Erschießen, gefolgt von der Giftspritze. Staaten wie Molquarze und South Dargobinien hatten noch 1814 versucht, den Todesfluch „Avada Kedavra“ als erste Methode zu etablieren, scheiterten aber am Veto der Lieben Zauberergemeinschaft. Ausgefallene Methoden waren bis zuletzt noch Erhängen, zuletzt 1808 in Veridor durchgeführt, und die Guillotine, deren letzter Einsatz in Riesle 1811 stattfand. Beide Male hatte es massive internationale Proteste und Sanktionen gegeben, die letztlich zur Abkehr solch ungewöhnlicher Hinrichtungsmethoden führten. Nach der Wahl vom Apfulkrax zum Weltkaiser stand fest, dass Exekutionen nun allgemein stärker geächtet würden, der massive internationale Druck führte die betreffenden Staaten nun an einen gemeinsamen Tisch. Besonders zwei zuletzt missratene Exekutionen schürten den Kampf für die Abschaffung der Todesstrafe. Anfang des Jahres war ein Verurteilter in Klondyk nach dem Einsatz der Giftspritze ins Koma gefallen und letztlich an seinem eigenen Erbrochenen erstickt. Im Juni wurde bei einem Erschießungskommando in South Dargobinien ein Verurteilter in den Hals getroffen und verblutete qualvoll.
Im Palaces Monda fanden seit August Gespräche mit Weltkaiser Apfulkrax, Justizdromorniss Petrarca, Innendromorniss Moleskar und Weltbund-Chefin Yvonne Carlsen statt. Auslöser war letztlich auch die vergangene Weltwahl, bei der mit Albert Hunter ein Justizdromorniss abgewählt wurde, der den Staaten noch die komplette Entscheidungsfreiheit zugestanden hatte. Petrarca dagegen machte Wahlkampf mit Apfulkrax‘ Forderung und siegte schließlich. Als besonders hartnäckig erwiesen sich bei den Gesprächen dem Vernehmen nach Molquarze, Klondyk und Blumenparadies. Molquarzes Präsident Mehler verbat sich noch bis vor kurzem jegliche Einmischung in die Jurisdiktion seines Landes, Abrassimov und Cannyen führten die Prozesse gegen die Kriegsverbrecher aus 1812 bzw. 1813 an, die nach der Weltschlacht und dem Kilis-Putsch geführt wurden. Dies allerdings hatte der LWGH in Palar schon seinerzeit gerügt und hatte viele dort Einsässige in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt, aufgrund der fehlenden Bindung der Urteile hielten sich jedoch weder Klondyk noch Blumenparadies an die Vorgaben.
Die Gespräche wurden darüber hinaus begleitet von Rechtsexperten, Humanwissenschaftlern und Ethikern. Dabei spielten Vorgänge im menschlichen Körper eine Rolle, ethische und gesellschaftliche, wie auch philosophische Fragestellungen und die rechtlichen Komplikationen bei staatlich veranlassten Tötungen. Wichtig war der Weltregierung wohl besonders eine Grundsatzdiskussion mit dem Ziel, gegenseitiges Verständnis zu wecken. Konstruktiv seien die Verhandlungen abgelaufen, so konstruktiv, dass es letztlich ein einstimmiges Votum der 18 Staaten für eine zweijährige Aussetzung der Todesstrafe gab. Einige Staaten hatten bereits in den vergangenen Jahren mit der Abschaffung geliebäugelt, da die oftmals angeführte Abschreckungswirkung nicht evident sei. Zudem haben in den vergangenen drei Jahren vier Länder die Todesstrafe komplett abgeschafft, zuletzt Olkanien. Mit der Weltregierung einigte man sich auf eine Kommission, deren Mitglieder zu einem Drittel aus Vorschlägen der Staaten, zu einem Drittel aus Vorschlägen der Weltregierung, sowie zu einem Drittel aus Gesandten anderer Welten bestehen soll. Von den anderen Welten sind die Erde, Tannazien und die Baumhauswelt noch Anwender der Todesstrafe. Im Rahmen der Kommission sollen Vor- und Nachteile aus jeglicher Perspektive ausgelotet werden und eine anschließende Empfehlung ausgesprochen werden, die allerdings nicht bindend ist.
„Wir sind nach wie vor Herr über unsere Gesetze“, betonte Walter Mehler. „Allerdings verstehen wir die Notwendigkeit einer ethischen Überprüfung und stoßen diese jetzt mit an.“ Mehler galt stets als grundsätzlicher Befürworter der Todesstrafe, relativierte diese Haltung zuletzt jedoch immer wieder und begründete sie hauptsächlich mit Kosten- und Sicherheitsgründen. In der Kritik – nicht nur der 18 Staaten mit Todesstrafe – stehen in letzter Zeit auch vermehrt die Haftbedingungen in internationalen Hochsicherheitsgefängnissen wie dem berüchtigten Erkensgrat-Gefängnis vor Rhamatrucha. Immer wieder ist von menschenunwürdigen Bedingungen die Rede, von permanenter Isolationshaft bis hin zu Bestrafungsformen, die als Folter klassifiziert werden können, etwa der wochenlangen Verdunklung der Zellen. Eine Studie aus 1822 legte den Schluss nahe, dass Insassen dieser Art Gefängnis zu 85% psychische Krankheiten in Folge der Haftbedingungen entwickelten und teilweise gefährlicher würden, als zum Zeitpunkt der Inhaftierung. Maßnahmen wurden von der Weltregierung noch nicht getroffen, die Kommission dürfte jedoch auch über diese Form der Bestrafung beraten. Auch hier sind die Ergebnisse der Beratungen offen. Dennoch war man auf Seiten des Palaces Monda überaus zufrieden. „Wir gehen heute einen weiteren Schritt in der Entwicklung der Lieben Welt“, sagte Apfulkrax zuversichtlich. „Auf menschlicher Ebene sollten wir niemals vergelten oder Rache üben. Gewalt produziert mehr Gewalt und dem wirken wir nun entgegen.“ Auch Juan Raúl Petrarca zeigte sich optimistisch: „Aus rechtsphilosophischer Sicht kann ich nur glücklich sein. Staatlich verübte Gewalt legitimiert letztendlich auch Gewalt untereinander und befeuert das Gewaltpotenzial einer Gesellschaft. Ich bin sicher, dass wir heute einen Beitrag zu weniger Gewalt auf unserer Lieben Welt geleistet haben.“ Weltbund-Chefin Carlsen pflichtete dem bei: „Im Weltbund gibt es ein klares Bekenntnis für eine Überprüfung unserer Bestrafungsformen. Dafür haben wir heute den Anstoß gegeben.“
Damit kann der Liebe Apfulkrax für seine Außenwahrnehmung neue Punkte sammeln. Mit dem Kunststück, starre Ansichten an einen Tisch zu bringen und diesen Überprüfungsprozess in Gang zu bringen, kommt er dem Erreichen seiner Ziele bei Amtsantritt immer näher. Auch die betroffenen Staaten können so gesichtswahrend aus den Gesprächen kommen, das offene Ende der Überprüfung der Todesstrafe macht es ihnen leicht, den Eindruck einer eigenen Kontrolle zu evozieren. Alles in allem eine Win-Win-Situation. Bis zur Empfehlung der Kommission.